Geschichten von Festtagen
Dritter Advent
Wie sind die Schuhe des Weihnachtsmanns?
Schon von früh an zeigte das schmächtige Mädchen nervige Verhaltensweisen. So konnte man dem Kind nicht beikommen, wurde frisches Brot geliefert. Dann schlich es sich in die Vorratskammer, prüfte das Brot mit der Nase und pulte mit dem rechten Zeigefinger auf der Liegeseite ein Loch. Die Kleine wollte stets vorsichtig und mit Sachverstand die Krume prüfen und bewerten. Ihr neugieriges Verhalten war bei dem von der Mutter mit Liebe und Butter gebackenen Sandkuchen auch nicht anders.
Aber für die Eltern war es doch entschieden zu viel und charakterlich bedenklich, als die im Schlafzimmerschrank versteckten Weihnachtsgeschenke mit dem berüchtigten Zeigefinger einer Prüfung unterzogen wurden. Kurzum, die Eltern überlegten sich eine mit Peng sitzende Erziehungstat, um diesem Verhalten ein für allemal ein ‘Basta!’, ‘Jetzt ist aber Schluss!’, ‘So geht das nicht!’ entgegenzustellen. Sie dachten sich, dass das aber nur ein Job für eine Respektsperson von außen sein könnte, wollte alles gut gelingen.
Kurz und gut, am Dritten Advent ließen sie gesalzen und für ihr einziges Kind unangekündigt den Weihnachtsmann auftreten.
Das sensible Mädchen bewegte sich in dieser Zeit vom Bewusstsein her zwischen Wissen und Nichtwissen, Erkennen und Dulden. Alles davon gelang dem Kind nebelverhangen.
Kurz und gut, das Drumherum, der Auftritt alles hatte Stil, und zwar zur Kaffeestunde im gediegenen Esszimmer. Die Mutter hob den Sandkuchen, sah die Bohrung und strafte das verängstigte Kind mit einem fast mausetot machenden Blick. Unmittelbar danach klingelte es heftig an der Tür. Der Vater öffnete. Dann eine furchteinflößende Polterei, und in Nullkommanix stand der Weihnachtsmann mitten im Esszimmer, ausgestattet mit seinen Insignien: auf dem Rücken der zum bersten gefüllte Sack, in der Hand die riesige Rute. Dann lieferte der Nikolaus eine gut durchdachte Standpauke. Zuvor aber, und wie zur Einleitung kam seine Begründung, warum er exakt zum Dritten Advent genau in dieses Haus kommen musste.
Das feinfühlige Mädchen wurde während dieser Maßnahme immer kleiner und war schnell, viel zu schnell schuldbewusst. Dann legte es aus lauter Not richtig los. Erbärmlich war die Weinerei, für alle unangenehm. Den Weihnachtsmann machte das ziemlich sprachlos.
Im lauf der Behandlung fiel der verheulte Blick dem Mädchen – Gott sei Dank – auf die schwarzen, blankgeputzten Sonntagsschuhe. So wie sie Menschen immer tragen, die kein eigenes Stäublein auf ihrer sauberen Weste dulden können. Die mit viel Energie im Leben kämpfen, dass alles seinen rechten Gang gehen kann. Die viel bei Menschen versuchen, die anderes ticken als sie. Die kostenlos ihre Lehren verteilen. Ja, so tat der Nachbar. Das war der Nachbar. So konnte nur der Nachbar!
Das alles und noch viel mehr zog blitzartig durch den Verstand des kleinen Mädchen. Alles bildete sich zu einem Gebäude, das Herz wurde berührt. Jetzt wusste es viel von den Menschen. Genau in einem Augenblick geschah das. Ja, es gibt keinen Weihnachtsmann! Aber es gibt doch liebe und verzweifelte Eltern, die alles Mögliche sich ausdenken und anstellen, um aus ihren Kindern tüchtige Erwachsene zu machen. Ja, die findet man überall auf der Welt.
Wie ging die Geschichte weiter?
Das nicht zu stillende Geweine des taffen Kindes jagte schlussendlich den Herrn Nachbar aus dem Haus.
Erst als das Mädchen erwachsen und selber mehrfach Mutter war, konnte es die eigene gut verstehen. Und auch viel von dem mit dem Weihnachtsmann verbundenen Leid in der Kinderwelt konnte die Frau verstehen. Und weil das alles immer wieder am Dritten Advent passieren kann, müssen die Wunder wie nebenbei geschehen.
Alles geht stets so: Immer kann man seinen Sack mit dem drückenden Inhalt herunterfahren und sagen, es ist nie zu spät, jetzt fange ich an! Man kann sein Verhalten überdenken und ändern. Ja, man kann auch lernen, sich selber zu verändern. Aber man sollte unter keinen Umständen nachlässig werden und vergessen, dabei auf die Schuhe des Weihnachtsmanns zu sehn!